Rehabilitation von neurologischen Erkrankungen:
Tätigkeitsprofil des klinischen Neurologen

Einleitung:

Ein Konsensuspapier, welches den Tätigkeitsbereich des Neurologen im Medizinbereich „Neuro-Rehabilitation“ regelt, ist aus mehreren Gründen erforderlich:

1) Im sogenannten Phasenmodell der seit 1. Jänner 1997 österreichweit etablierten Leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF) ist eine Akut-Nachbehandlung von neurologischen Erkrankungen (Neuro-Rehabilitation) zwar der Neurologie zugeordnet, der Leistungsumfang des klinischen Neurologen jedoch nicht näher aufgelistet.

2) Eine fachlich präzise Abgrenzung zur Geriatrie und Physikalischen Medizin ist deswegen sinnvoll, da diese beiden Fachgebiete zunehmend inhaltliche Bereiche der Neuro-Rehabilitation fachüberschreitend beanspruchen.

3) Der Pflegebereich, der nicht mehr nur Assistenzberuf des Arztes sein will und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz z.T. einseitig umsetzt, definiert und dokumentiert fachüberschreitend zunehmend Leistungen auch im Bereich ärztlicher Tätigkeiten der Neuro-Rehabilitation.

4) Das gegenständliche Konsensuspapier sollte auch als Grundlage dafür dienen, in weiterer Folge ein Ausbildungs- bzw. Weiterbildungs-Curriculum für ein entsprechendes Diplom der OeGNR bzw. zur Erlangung eines Additiv - Facharztes für Neuro-Rehabilitation zu erarbeiten.

5) Eine Personalbedarfsbemessung ist im Krankenanstaltengesetz (BGBl. Nr. 801/1993) für alle Berufsgruppen im Krankenanstaltenbereich verpflichtend vorgeschrieben. Den im gegenständlichen Konsensuspapier aufgelisteten Tätigkeiten können konsensuell noch zu erarbeitende Zeiteinheiten zugeordnet werden, woraus ein Personalbedarf für den Bereich der Neuro-Rehabilitation errechenbar wäre.

ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR NEUROREHABILITATION (OeGNR)

Rehabilitation von neurologischen Erkrankungen:
Tätigkeitsprofil des klinischen Neurologen

1          Leistungskatalog bei der Aufnahme, (im Rehabilitationsverlauf), bei der Entlassung

1.1       Erfassung anamnestischer Daten

1.1.1    Patientenanamnese

1.1.2    Familienanamnese

1.1.3    Sozialanamnese

1.2       Diagnostik des Schädigungsmusters („impairment“)

1.2.1    Erfassung multimodaler Schädigungen des Nervensystems

1.2.2    Erfassung multimorbider Schädigungen, d.h. Erfassung des (orientierenden)

            internistischen/psychiatrischen/orthopädischen Status

1.2.3    Erfassung prämorbider organischer Läsionen

1.2.4    Abschätzung der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur

1.2.5    Angewandte Techniken:

1.2.5.1 Status neurologicus (Verwendung validierter rating scales wie z.B. NIH-SS bei Schlaganfallpatienten etc.)

1.2.5.2 Psychologischer Test, neuropsychologische Testbatterien (1. apparativ-computergestützte Diagnostik, 2. Papier/ Bleistift - Test)

1.2.5.3 Bildgebende Verfahren wie CT/MRI, Neurosonologie, Neurophysiologie

1.3       Diagnostik des Behinderungsgrades („disability“) Entsprechend dem neuen WHO-Vorschlag: Aktivitätseinschränkungen („aktivity limitation“)

1.3.1    Bezug auf die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)

1.3.2    Bezug auf Lebensqualität, Lebenszufriedenheit

1.3.3    Angewandte Techniken: Verwendung validierter rating scales, wie z.B. die ADL-Skala nach Barthel bzw. nach dem sog. erweiterten Barthel; Selbstbeurteilungsskalen wie z.B. Life

            Satisfaction Index (LSI).

1.4.1    Diagnostik der sozialen Abhängigkeit („handicap“) Entsprechend dem neuen WHO-Vorschlag: Partizipationsstörungen („participation restriction“)

1.4.2    Erfassung des sozialen Umfeldes

1.4.2    Angewandte Techniken (z.B. Rankin Handicap Skala, etc.)

1.5       Einschätzung des Rehabilitationspotentials - Prognostische Beurteilung - Erfassung rehabilitationslimitierender Faktoren unter Einbeziehung der w.o. angeführten anamnestischen

            und Befund-Daten, möglichst

1.5.1    bei der Aufnahme

1.5.2    im weiteren Rehabilitationsverlauf

1.5.3    und bei der Entlassung aus dem Krankenhaus bzw. der Rehabilitations - Einheit

1.6       Entwicklung eines Therapie- /Rehabilitationsplanes

1.6.1    Erstellen eines individuellen ganzheitlichen Konzeptes unter Einbeziehung erforderlicher

1.6.2    multi-/interprofessioneller Maßnahmen, dementsprechende fachspezifische Zuweisungen ad Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Soziotherapie, Neuropsychologie, klinische

            Psychologie, Rehabilitationspflege etc.

1.7       Teamleitung

1.7.1    Supervision der Team-Mitglieder (Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Neuropsychologie, Pflegebereich, Soziotherapie bzw. Kommunikation mit allen Beteiligten)

1.7.2    Koordination der Rehabilitationsmaßnahmen im Rehabilitations-Team

2          Leistungskatalog täglich bzw. wöchentlich durchzuführender Leistungen

2.1       Funktionsdiagnostische Leistungen (täglicher Aufwand)

2.1.1    Befundvisite

2.1.2    Patientenvisite

2.1.3    EDV-Tätigkeiten

2.1.4    Dienstübergabe

2.1.5    Reha-Dokumentation

2.2       Funktionsdiagnostische Leistungen (wöchentlicher Aufwand)

2.2.1    Orientierungsgespräch mit Reha-Patienten

2.2.2    Integrationsgespräch mit Angehörigen von Reha-Patienten

2.2.3    Neuropsychologisches Screening

2.2.4    Schnittstellenarbeit mit dem Neuropsychologen

2.2.5    Rehabilitations - Teamarbeit

2.2.6    Befundung bzw. Supervision neurophysiologischer Untersuchungen

2.2.7    Auswahl und Organisation von erforderlichen Hilfsmitteln und weiterer externer Reha-Maßnahmen

2.2.8    Aufnahme- und Abschlußbefund

2.2.9    Qualitätsmanagement: Reha-Dokumentation

2.3       Therapeutische und weitere diagnostische Leistungen (täglicher Aufwand)

2.3.1    Medikamentöse Behandlung (z.B. von reaktiven oder endomorphen Depressionen; Sekundärprophylaxe, Schmerztherapie, etc.)

2.3.2    Gespräch über Medikamentenwirkung und begleitende Kurzuntersuchung

2.3.3    Stützende psychotherapeutische Behandlung

2.3.4    Blutabnahme, Injektionen (i.v., i.m., s.c.), Kathetersetzen, RR-Messung, Auskultation, EKG,etc.

2.4       Ambulanz für Frührehabilitation (Rekrutierung von Reha-Patienten)

2.4.1    Neurologische Untersuchung und neurologische Exploration

2.4.2    Neuropsychologische Screening-Diagnostik

2.4.3    Differenzierte neuropsychologische Untersuchung der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses

2.4.4    Physiotherapeutische Untersuchung (Supervision)

2.4.5    Einschätzung günstiger bzw. limitierender Faktoren - Prognostische Beurteilung - Rehabilitationspotential

3          Aus- Weiterbildung/ Information

3.1       Einschulung von Assistenten in der Facharzt - Ausbildung

3.2       Themenbezogene Fortbildung für alle Berufsgruppen des Reha-Teams

3.3       Öffentlichkeitsarbeit (Information von Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen, Pressekontakte etc.)

4          Angewandte Wissenschaft

4.1       Konsensuelle Erarbeitung diagnostischer und therapeutischer Standards der neurologischen Erkrankungen

4.2       Einheitliche Dokumentation relevanter Reha-Daten

4.3       Wissenschaftlich-orientierte Qualitätssicherung, wie z.B. Evaluierung von Reha-Einheiten, Durchführung von multizentrischen „Outcome“ - Studien

4.4       Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Reha-Einrichtungen (Erfahrungsaustausch, Arbeitstagungen, Kongresse etc.

 

Literatur

BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT, GESUNDHEIT UND SOZIALES:
Ärzteausbildungsordnung: Gegenstandskatalog Neurologie. Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin und zum Facharzt - Anlage 26.
BGBL. Nr. 461/1992 - Verordnung vom 4. März 1994

BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT, GESUNDHEIT UND SOZIALES:
Krankenanstaltengesetz
BGBL. Nr. 801/26.11.1993

BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT, GESUNDHEIT UND SOZIALES:
Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung (LKF): Festlegung von Einheiten zur Akut-Nachbehandlung von neurologischen Patienten.
BMAGS: 1. Jänner 1997

von CRAMON, D., ZIHL, J. (Hrsg.):
Neuropsychologische Rehabilitation. Grundlagen - Diagnostik - Behandlungsverfahren
Springer: Berlin - Heidelberg - New York - London - Paris - Tokyo 1988

DAVIS, P.M.:
Steps to follow. A Guide to the Treatment of Adult Hemiplegia
Springer: Berlin - Heidelberg - New York - Tokyo 1985

DRECHSLER, R.:
Interdisziplinäre Teamarbeit in der Neurorehabilitation. In: FROMMELT, P., GRÖTZBACH, H. (Hrsg.): Neurorehabilitation. Grundlagen - Praxis - Dokumentation
Blackwell: Berlin - Wien 1999

EFNS GUIDELINES 1
Minimum Standards in Neurological Rehabilitation
European Journal of Neurology 4, 325-331 (1997)

FUHRER, M.J.:
Rehabilitation Outcomes. Analysis and Measurement
Brookes: Baltimore - London 1987

GRANGER, C.V., HAMILTON, B.B., GRESHAM, G.E., KRAMER, A.A.:
The stroke rehabilitation outcome study. Part II: Relative merits of the total Barthel-Index score and a four-item subscore in predicting patient outcomes.
Arch Phys Med Rehabil, 70, 100-103 (1989)

GREENWOOD, R., BARNES, M.P., Mc MILLAN, M., WARD, Chr.D.:
Neurological Rehabilitation
Churchill Livingstone, Edinburgh 1993

ILLIS, L.S., SEDGWICK, E.M., GLANVILLE, H.J. (ed.):
Rehabilitation of the Neurological Patient
Blackwell: Oxford - London - Edinburgh - Boston - Melbourne 1982

JOCHHEIM, K.A., SCHOLZ, J.F. (Hrsg.):
Rehabilitation. Band I. Gesetzliche Grundlagen, Methoden und Maßnahmen
Thieme: Stuttgart1975

KOMMISSION KLINISCHE NEUROPSYCHOLOGIE DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR NEUROLOGIE:
Postgraduale Weiterbildung klinische Neuropsychologie. In: „Forum neurologicum“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
Akt Neurologie 24, XXX - XXXIX (1997)

MASUR, H.:
Skalen und Scores in der Neurologie. Quantifizierung neurologischer Defizite in Forschung und Praxis.
Thieme: Stuttgart - New York 1995

MAURITZ, K.H.:
Rehabilitation nach Schlaganfall
Kohlhammer: Stuttgart - Berlin - Köln 1994

PROSIEGEL, M., BÖTTGER, S., SCHENK, T., KÖNIG, N., MAROLF, M., VANEY, C., GARNER, C., YASSOURIDIS, A.:
Der Erweiterte Barthel-Index (EBI) - eine neue Skala zur Erfassung von Fähigkeitsstörungen bei neurologischen Patienten
Neurol Rehabil 1, 7-13 (1996)

SCHNABERTH, G.:
Rehabilitation in der Neurologie.
Postgraduate Lehrgang für Ganzheitsmedizin der Wiener internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin 5. Dezember 1992

SCHÖNLE, P.W.:
Frühe Phasen der Neurologischen Rehabilitation:
Differentielle Schweregradbeurteilung bei Patienten in der Phase B und C mit Hilfe des Frühreha-Barthel-Index (FRB)
Neurol Rehabil 1, 21-25 (1996)

SCHUPP, W.:
Konzept einer Zustands- und Behinderungsangepaßten Behandlungs- und Rehabilitationskette in der neurologischen und neurochirurgischen Versorgung in Deutschland („Phasenmodell“)
Nervenarzt 66, 907 - 914 (1995)

STEMMER, B., LACHER, S., GAHL, B., SCHÖNLE, P.W.:
Predicting Outcome in Different Stages of Neurological Rehabilitation (Abstract)
2nd World Congress in Neurological Rehabilitation, April 14-17, 1999

Task Force on stroke impairment, disability and handicap:
Symposium recommendations for methodology in stroke outcome research.
Stroke, 21 (Supl II), 68-73 (1990)

WADE, D.T.:
Measurement in Neurological Rehabilitation.
Oxford University Press 1994

WALLESCH, C.W., HERRMANN, M.:
Berufsgruppen und interdisziplinäre Kooperation in der neurologischen Rehabilitation
Akt. Neurologie 25, 139-146 (1998)

WORLD HEALTH ORGANISATION
International Classification of Functioning and Disability. Beta - 2 draft, Full Version
WHO-Geneva: 1999
www.who.ch/icidh 

Korrespondenzadresse:

Univ.Prof.Dr. G. Schnaberth
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurorehabilitation (ÖGNR)
Neurologisches Krankenhaus der Stadt Wien - Rosenhügel
1130 Wien, Riedelgasse 5
Tel.Nr. 01/88 000/231, Fax: 01/88 000/383

Prim.Dr. M. Freimüller
1.Sekretär der Österreichischen Gesellschaft für Neurorehabilitation
Gailtal-Klinik
Landes-Sonderkrankenanstalt für Neurolog. Rehab. und Unfallchirurgie
9620 Hermagor, Radnigerstr. 12

MITGLIED WERDEN?

PDF        ONLINE

Kontakt

Österreichische Gesellschaft für
Neurorehabilitation
Hermanngasse 18/1/4
1070 Wien

oegnr@studio12.co.at
Tel.: +43 (0)1 890 34 74

Login Form

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.